Über ein Mitglied unserer Jugendfeuerwehr.
UNTERLIEDERBACH - In Notsituation genau das Richtige getan - Nicht nur ihre Mutter ist stolz auf die Zehnjährige
Gerade mal zehn Jahre alt ist Helene Bauer - doch die Unterliederbacherin hat am vergangenen Samstag mehr Herz und Mut als die meisten Erwachsenen bewiesen. Gemeinsam mit ihren gleichaltrigen Cousinen leistete sie beim Besuch eines Discounter-Ladens in der Königsteiner Straße entscheidende Hilfe, als eine Mitarbeiterin vor ihren Augen einen epileptischen Anfall erlitt.
„Ich habe dort mit Charlotte und Jule Sachen zum Basteln eingekauft“, erzählt Helene, die mit ihrer Mama Silke Bauer am Donnerstag noch mal zur Unglücksstelle zurückgekehrt ist. Gerade hatten die jungen Mädchen an der Kasse bezahlt, als die Frau mit lautem Krach zu Boden ging und unkontrolliert zu zappeln begann. „Da wusste ich nicht, dass sie einen epileptischen Anfall erlitten hatte“, erzählt Helene. Dass die Verkäuferin in Lebensgefahr war, habe sie aber schon gespürt. „Sie hat megaschlecht geatmet.“
Voyeure vom Filmen abgehalten
Was das Mädchen dann schildert, schockiert: Immer mehr Menschen strömen in den Laden, teils mit Handys bewaffnet, um Videoclips von der mit dem Tode ringenden Frau zu machen. Doch die drei Teenager eilen nach draußen. Helene stürmt auf einen Passanten zu, bittet ihn, den Rettungsdienst zu alarmieren. Dann hechtet Helene zurück in den Laden. Dort hält eine Frau den Kopf der Verkäuferin schützend in ihren Armen, während eine Kollegin in Tränen ausbricht. „Der Notarzt ist gleich hier“, ruft Helene - und tröstet die weinende Frau.
Dabei hat sie selber Angst, wie sie sich erinnert. „Aber ich wollte es niemandem zeigen, weil das keinem geholfen hätte“, sagt sie. Stattdessen versucht sie mit ihren Cousinen, die filmenden Voyeure zur Vernunft zu bringen: „Hört bitte auf damit und geht einfach weiter!“ Die Schaulustigen sollten unbedingt den Weg für die Sanitäter freimachen.
Die Gedanken gelten dem Opfer
Als die nach zehn Minuten am Unglücksort eintreffen, lotsen sie die Freundinnen sofort zur richtigen Stelle: „Vorne links vor der Kasse liegt die Frau - bitten helfen Sie ihr“, ruft Helene dem Notarzt zu. Minuten später, und die Mediziner fahren mit der Notfall-Patientin Richtung Klinikum. Für Helene ist der Einsatz noch nicht zu Ende: Unter Schock stehen ihre Cousinen zunächst auf dem Bürgersteig. „Eine hat ganz schlimm gezittert.“ Helene nimmt auch sie tröstend in den Arm, legt ihr die eigene Jacke um, obwohl sie selber friert. Dann gehen ihre Gedanken zurück zur Verkäuferin. „Ich habe mir nur gewünscht, dass sie alles gut übersteht,“ sagt Helene.
Der Wunsch erfüllt sich: Als der Teenager am Donnerstag vor dem Laden die dramatische Geschichte erzählt, drückt ihr eine Verkäuferin, die mit der verunglückten Kollegin telefoniert, ihr Handy in die Hand. Patientin und Helferin sprechen kurz miteinander. „Es geht ihr wieder besser“, erzählt Helene erleichtert, als sie wieder aus dem Geschäft kommt. Und: „Sie hat sich ganz oft bedankt für meine Hilfe.“ Mittlerweile haben sich auch ihre Großeltern eingefunden: „Wir schlafen nur noch im Stehen, so stolz sind wir“, berichtet ihre Oma. Doch woher hat Helene diesen kühlen Kopf, in Notsituationen beherzt anzupacken? Die Qualitäten, so viel ist klar, kommen nicht ungefähr: Ihre Eltern sind beide Unfallchirurgen und Notärzte - und als langjähriges Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Unterliederbach, erst viele Jahre bei den Minis, seit vier Wochen in der Jugendabteilung - ist Helene mit Gefahrensituationen vertraut.
Zumindest in der Theorie. So was wie am Samstag, den Ernstfall auf Leben und Tod, hat sie noch nicht erlebt. Dennoch kommentiert Helene, bei der „Ärztin“ erst an dritter Stelle der Traumberufe kommt (hinter „Konditorin“ und „Astronautin“) ihren heldenhaften Einsatz nur so: „Das war selbstverständlich für mich. Beim nächsten Mal würde ich es wieder genauso machen.“ Michael Forst